Vor gut einem Jahr fand der erste „Runde Tisch“ zum Dauerbrenner Nachtleben statt: Anwohnende, Gewerbe und Verwaltung setzten sich zusammen, um Lösungen für ein besseres Miteinander der verschiedenen Interessensgruppen zu erarbeiten. Zeit für ein Fazit.
Ausgelöst wurden die „Runden Tische“ durch ein Schreiben der Anwohnenden aus dem Bereich Piazza Cella; dies wurde bereits am 24.4.2015 an den Stadtrat adressiert und von 100 Leuten unterschrieben. Denn selbst für die ganz Hartgesottenen, die zum Teil schon Jahrzehnte in dieser Gegend zuhause sind, wird die Situation zunehmend unerträglich.
So wurden am ersten Runden Tisch die verschiedenen Interessen und Reibungspunkte fetgestellt und am zweiten dann verschiedene Massnahmen ausgearbeitet. Ziel dieser Massnahmen sollte es sein, Konflikte zu entschärfen und bei den Partygängern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Langstrasse eben nicht nur Partymeile, sondern auch Wohngebiet ist.
Kampagne…
Eine dieser Massnahmen war die Sensibilisierungskampagne „Nachtleben und lassen“, die von diversen Clubs auf die Beine gestellt wurde. Die aufwändige Kampagne war mit witzigen Sprüchen auf Plakaten an gut sichtbaren Orten präsent. Ein Dankeschön an alle Beteiligten, die damit klar zeigten, dass ihnen die gute Nachbarschaft an der Langstrasse wichtig ist. Der Kritikpunkt, dass man die Plakate wohl nicht mehr so gut versteht, wenn man ein Quantum Bier intus hat, sei jedoch gestattet.
… Urinal…
Eine weitere Massnahme war das Urinal, das testweise auf der Piazza Cella aufgestellt wurde. Wegen der Optik nicht wirklich beliebt, aber gut benutzt. Der Urin floss in rauhen Mengen – nicht mehr auf die Strasse. Kleine Randbemerkung: die EAWAG experimentiert sehr erfolgreich mit Dünger auf der Basis von menschlichem Urin. Falls ein optisch ansprechendes Urinal installiert wird, könnte man das flüssige Gold einer sinnvollen Verwendung zuführen.
… Probleme und keine Lösungen in Sicht!
Dies sind nur zwei der Massnahmen, die erprobt wurden. Wie im Laufe des Sommers und auch am nun letzten Runden Tisch deutlich wurde, spürten die Anwohnenden jedoch keine Besserung. Im Gegenteil entsteht der Eindruck (und dies spiegelt die Erfahrung des Quartiervereins wider), dass das Nachtleben immer weitere Kreise zieht. Wir erhielten im Lauf der letzten Monate immer wieder Anfragen, weil offenbar neue Hotspots ausserhalb des Raums um die Piazza Cella entstehen. Wer sich die Clubs nicht leisten kann oder will, versorgt sich in 24-Stunden-Shops mit Speis und vor allem Trank und erobert sich neue und ehemals ruhige Räume in der erweiterten Nachbarschaft. Der Nachtstadtrat hinkt dieser Entwicklung hinterher, wenn er die Öffnung neuer Räume fordert, wo Jugendliche in Ruhe lärmen können, um die Langstrasse zu entlasten; die Räume werden bereits erobert. Ohne Rücksicht allerdings auf diejenigen, die dort wohnen.
Leben und leben lassen, und dabei Rücksicht aufeinander nehmen
Diese Rücksicht, oder mehr noch, der Respekt, fehlt den Anwohnenden und es ist eine gewisse Resignation spürbar. Viele der Alteingesessenen liebäugeln bereits mit einem Wohnortwechsel. Abgesehen davon, dass es nicht einfach ist, in Zürich eine Wohnung zu finden, wird dadurch eine bedenkliche Entwicklung in Gang gesetzt, die unabsehbare Folgen haben wird. Ist der Kreis 4 auf dem Weg in die Gettoisierung, nachdem über Jahre hinweg eher das Gegenteil, die Gentrifizierung, Sorgen machte?
Wie geht es weiter?
Der letzte Runde Tisch hat stattgefunden. Die Stadt will den Prozess weiterführen und wir sind gespannt, wann Besserungen spürbar sind oder ob nicht die eine oder andere Massnahme doch irgendwann im Sande verläuft. Eine Weiterführung der Runden Tische – in dieser oder einer anderen Form – wäre sicher wünschenswert, auch unter Einbezug der anderen Innenstadtquartiere. (ao)