Geschichte des Güterbahnhofs

Die Geschich­te Zürichs ab dem 19. Jahr­hun­dert, und ins­be­son­de­re die Geschich­te Aus­ser­sihls, ist eng an den Güter­bahn­hof geknüpft. Die Geschich­te des Güter­bahn­hofs wie­der­um ist eine Geschich­te von Pio­nier­geist und Mut, von Spe­ku­la­tio­nen und geplatz­ten Träu­men, vom Wachs­tum und der Ent­wick­lung einer Stadt und einer gan­zen Regi­on. Der Güter­bahn­hof war das Tor zur Welt. Waren von aus­ser­halb dräng­ten in die Regi­on, Waren der Regi­on wur­den nach Euro­pa und wei­ter in alle Welt ver­sandt, Waren wur­den ver­la­den, umge­schla­gen, gela­gert, trans­por­tiert. Der Wohl­stand der gedei­hen­den Stadt grün­de­te sich nicht nur auf die zwing­lia­nisch-inspi­rier­te Geschäfts­tüch­tig­keit, son­dern auch auf den Stand­ort­vor­teil, den der gut funk­tio­nie­ren­de Güter­bahn­hof bot.

Aus­ser­sihl ist durch sei­ne güns­ti­ge Lage die Keim­zel­le des Güter­bahn­hofs. Nir­gends sonst hät­te die­ser beson­de­re Ort ent­ste­hen kön­nen. Der Güter­bahn­hof präg­te daher die Geschich­te die­ses Quar­tiers ganz beson­ders: Arbeits­plät­ze waren vor­han­den, die mar­kan­te Archi­tek­tur präg­te das Stadt­bild. Noch heu­te ist die ein­drucks­vol­le Fas­sa­de ein Blick­fang und manch einer wun­dert sich, dass dies kein Palast ist, son­dern „nur“ ein alter Güterbahnhof.

Die fol­gen­de Über­sicht ist zusam­men­ge­fasst aus: 

1897–1997: 100 Jah­re Güter­bahn­hof Zürich. Eine aus­führ­li­che­re Chro­no­lo­gie zum Herunterladen:
Chronologie_Gueterbahnhof

Die gebun­de­nen Bro­schü­ren sind lei­der vergriffen…

Bro­schü­re 100 Jah­re GüBhf PDF

Pionierzeit

Ab 1845 wer­den die Eisen­bah­nen zuneh­mend wich­ti­ger, Zum ers­ten Mal ist es mög­lich, Pas­sa­gie­re und Fracht in grös­se­rer Anzahl, schnell und kos­ten­güns­tig über wei­te Stre­cken zu trans­por­tie­ren. Eisen­bahn­ge­sell­schaf­ten wer­den gegrün­det, die neue Tech­nik rückt Men­schen und Orte näher zuein­an­der. 1850 wird eine ers­te offe­ne Güter­ram­pe beim 1847 erbau­ten Zür­cher Bahn­hof ein­ge­rich­tet. Der ers­te eigent­li­che Güter­bahn­hof ent­steht aber erst 1863 auf dem West­ufer der Sihl.

Das Güter­auf­kom­men ver­viel­facht sich (von 8000 Ton­nen im Jahr 1855 auf 200’000 Ton­nen im Jahr 1864). 1874 hat das Güter­auf­kom­men 427’000 Ton­nen erreicht und es wird immer deut­li­cher, dass ein neu­er Güter­bahn­hof erfor­der­lich ist.

1893 wird Aus­ser­sihl im Rah­men der Ers­ten Ein­ge­mein­dung ein poten­ti­el­ler Stand­ort für den neu­en Güterbahnhof.

Fassade1

Projekt und Bau „Neuer Güterbahnhof“

Ein ers­tes Pro­jekt, das auf der Idee Mosers von 1874 basiert, bil­det die Keim­zel­le für den neu­en Güter­bahn­hof. Form und Lage wer­den ent­wor­fen, dis­ku­tiert, ver­wor­fen und über­ar­bei­tet. Schliess­lich einigt man sich auf den Stand­ort Aussersihl.

Für die dama­li­ge Zeit moderns­te Bau­me­tho­den kom­men zum Ein­satz. Eben­so modern und spä­ter welt­weit nach­ge­ahmt ist das Säge­zahn­prin­zip: an den Kopf­bau mit Ver­wal­tung, Zoll­amt und Haupt­ein­gang sind beid­sei­tig die Güter­um­schlags­hal­len ange­hängt. Jede Hal­le ver­fügt über eine eige­ne Ram­pe, die sepa­rat ange­fah­ren wer­den kann. So wer­den unnö­ti­ge War­te­zei­ten vermieden.Im Pro­jekt berück­sich­tigt ist auch die Anbin­dung an das Quar­tier und an den bereits pro­jek­tier­ten Schlacht­hof an der Her­dern­stras­se. Am 24. August 1896 erfolgt der Spa­ten­stich, im Spe­tem­ber 1897 ist der Güter­bahn­hof voll­stän­dig bezugsbereit.

Eini­ge tech­ni­sche Daten des Güterbahnhofs:

  • Im Expe­di­ti­ons­ge­bäu­de sind 126 Ton­nen Eisen verbaut.
  • Die Anla­gen umfas­sen ein Are­al von mehr als 100’000 Qua­drat­me­tern. Dar­auf ste­hen der drei­stö­cki­ge Ver­wal­tungs­trakt (Expe­di­ti­ons­ge­bäu­de), die ca. 400m lan­ge Emp­fangs­hal­le mit 11 Staf­feln à 4 Güter­wa­gen (Kapa­zi­tät inkl. offe­ne Ram­pen: 48 Wagen) sowie die rund 250m lan­ge Ver­sand­hal­le mit 4 Staf­feln à 4 Güter­wa­gen (20 Wagen).
  • Über der Erde ver­dop­pelt sich die nutz­ba­re Flä­che auf rund 15’000 Quadratmeter
  • Unter dem Güter­bahn­hof liegt ein Kel­ler­ge­wöl­be mit mehr als 7’000 Qua­drat­me­tern Lager­flä­che. Die 50 rie­si­gen Holz- und Zement­fäs­ser fas­sen zusam­men mehr als 6’100 Hek­to­li­ter und wer­den direkt aus den in den ober­ir­di­schen Hal­len ste­hen­den Eisen­bahn­wa­gen abge­füllt. Von ins­ge­samt 9,5km Gleis ver­lau­fen gut 500m gedeckt.
  • Im ers­ten vol­len Betriebs­jahr (1898) wer­den 673’000 Ton­nen Güter umge­schla­gen. Tag und Nacht sind mehr als 500 Per­so­nen beschäftigt.

Die ersten Jahre – Spekulation und Krisen

Das enor­me Kapi­tal, das durch den Güter­bahn­hof nun nur eini­gen weni­gen zugu­te kommt, stösst zuneh­mend auf Kri­tik. Nun wol­len alle am neu­en Wohl­stand teil­ha­ben. 1898 beschliesst das Volk die Ver­staat­li­chung der Eisen­bah­nen, 1901 über­neh­men die neu­ge­grün­de­ten SBB den Güterbahnhof.

Arbei­ter­kampf und die logis­ti­schen Hochs und Tiefs von Krieg und Rezes­si­on prä­gen die nächs­ten Jahr­zehn­te. Im Kriegs­jahr 1916 wird erst­mals die Mil­lio­nen­gren­ze über­schrit­ten: 1’165’000 Ton­nen an Gütern wer­den umge­schla­gen. Der­weil wächst das Quar­tier Aus­ser­sihl um den Güterbahnhof.

Trotz des 2. Welt­kriegs kom­men die SBB an die Gren­zen ihrer Leis­tungs­fä­hig­keit. Der kriegs­be­ding­te Auf­schwung führt auch zu Erwei­te­rungs­bau­ten. Direkt nach Kriegs­en­de erreicht der Güter­ver­kehr einen neu­en Höhe­punkt: Ende des Jah­res sind zeit­wei­se über 1000 Per­so­nen beschäf­tigt, die pro Tag 800 bis 900 Wag­gons be- und entladen.

Nach dem Krieg

In den 50er und 60 Jah­ren fin­den wei­te­re bau­li­che Mass­nah­men statt. Ca. 195253 kom­men die ers­ten Hub­stap­ler zum Ein­satz. In den 60er Jah­ren leben rund 100 ita­lie­ni­sche Gast­ar­bei­ter im SBB-Bara­cken­dorf Her­dern auf engs­tem Raum zusam­men, die meis­ten arbei­ten im Güter­bahn­hof. Die unhalt­ba­ren Wohn­be­din­gun­gen wer­den auch in der ita­lie­ni­schen Zei­tung „L’U­ni­tà“ kri­ti­siert. Das soge­nann­te „Ledi­gen­heim“ ent­steht jen­seits des Gleis­drei­ecks vor dem Güter­bahn­hof (Brau­er­stras­se 118–124). 1961 und 1970 wer­den Rekord­men­gen von je 1’140’000 Ton­nen umge­schla­gen. Trotz­dem zeich­net sich das Ende einer Epo­che ab: Fracht wird zuneh­mend auf die Stras­se ver­legt. Trotz­dem ist sich die Stadt der Bedeu­tung des Bau­werks bewusst: der Güter­bahn­hof Zürich wird 1986 vom Stadt­rat ins „Inven­tar der kunst- und kul­tur­his­to­ri­schen Schutz­ob­jek­te von kom­mu­na­ler Bedeu­tung“ aufgenommen.

Das Ende

Der Güter­bahn­hof ist, räum­lich und archi­tek­to­nisch ver­netzt, ein fes­ter Bestand­teil des Quar­tiers gewor­den. Bis ende 2009 wird er noch von SBB Car­go benutzt. Seit Anfang des Jah­res ist das Zoll­bü­ro auf­ge­ho­ben, der Ver­kehr läuft über den Con­tai­ner­ter­mi­nal Nie­der­glatt. Trotz­dem ist der Güter­bahn­hof nicht gänz­lich ver­waist: eini­ge Fir­men nut­zen die Lager­hal­len noch, der Quar­tier­ver­ein hat sein Lager dort, gele­gent­lich fin­det eine Fei­er, eine Aus­stel­lung, ein spon­ta­ner Anlass statt. Der Dorn­rös­chen­schlaf ist sehr oberflächlich.

2003: Das Stimm­volk bewil­ligt mit 55,7% Mehr­heit einen Bau­kre­dit von 490 Mio. Fr für ein neu­es Poli­zei- und Jus­tiz­zen­trum, für das der Güter­bahn­hof wei­chen soll.
2005: Das Zoll­in­spek­to­rat Zürich bezieht neue Räu­me im Frei­la­ger Albisrieden.
2009: Eine neue Kos­ten­schät­zung ver­an­schlagt die Kos­ten für den Bau auf Fr. 700 Mio. Fr., also 210 Mio. Fr. mehr, als vom Volk bewilligt.

1. August 2009
Unter der Feder­füh­rung des Quar­tier­ver­eins wird bei heis­sem Hoch­som­mer­wet­ter die Bun­des­fei­er auf der Ram­pe gefei­ert. Zwi­schen Grill­wurst, Wein und Musik fragt man sich, ob es wirk­lich nötig ist, den Güter­bahn­hof abzureissen.

13. April 2010
Dank mas­si­ver Abstri­che liegt das geplan­te Kos­ten­dach nun bei 569 Mio. Fr. Das sind „nur“ noch 30 Mio. Fr. mehr, als vom Volk bewil­ligt. Dies soll durch eine rigo­ro­se Ver­zichts­pla­nung erreicht wer­den. Eines der Haupt­zie­le des Pro­jekts, die Ver­ei­ni­gung aller Stel­len unter einem Dach, wird jedoch ver­fehlt, denn die Spe­zi­al­fahn­dung für Schwer­ver­bre­cher, Tei­le der Ver­kehrs­po­li­zei und die Ein­satz­zen­tra­le der Kan­tons­po­li­zei fal­len nun weg. (Tages­an­zei­ger vom 14. April 2010)

Ver­schie­de­ne poli­ti­sche Par­tei­en und Ver­bän­de wie auch der Quar­tier­ver­ein Aus­ser­sihl-Hard, beschlies­sen dar­auf­hin, Wider­stand gegen das Pro­jekt zu leisten.

Die Visi­on: Güter­bahn­hof Reloaded
Das Mani­fest: die Alter­na­ti­ve zum PJZ

29. Juni 2010
Der Kan­tons­rat ent­schei­det sich gegen das PJZ.
04.09.2011
gegen den Ent­scheid des Kan­tons­rat wur­de das Behör­den­re­fe­ren­dum ergrif­fen. Das Stimm­volk ent­schei­det sich für den Bau des PJZ.

Der Abriss

Mit­te 2013 fah­ren die Bau­ma­schi­nen auf. Der Güter­bahn­hof wird dem Erd­bo­den gleichgemacht.
Ab 2024 sol­le das neue Gebäu­de bezugs­be­reit sein. Ter­min- und Kre­dit­über­schrei­tun­gen sind nicht planbar…

Aktu­el­le Infos zum PJZ